Die Ophicleide – ein Muß!

Entwicklung

Kultureller Austausch findet zu einem erheblichen Teil auf den Schlachtfeldern statt. So trafen sich am 18. Juni 1815 bei Waterloo die alliierten britischen, hannoveranischen, niederländischen und preußischen Truppen, um Napoleon endgültig zu schlagen. Zu diesem Anlaß gab es neben den Schrapnell-Geschossen auch das neue fünfklappige Bügelhorn der Engländer zu erleben. Durch die Klappen erweiterten sich die Einsatzmöglichkeiten des bis dahin als Signalinstrument genutzten Bügelhorns erheblich, und so bauten die in Frankreich ansässigen Instrumentenbauer das erprobte Klappenhorn einfach nach. Schon zwei Jahre nach der Schlacht, im Jahre 1817, stellte der in Paris arbeitende Jean Hilaire Astè, genannt Halary, ein Klappeninstrument aus Messingblech in Tenor-Baßlage vor - die Ophicleide.Damit hatte er einige Entwicklungen Anfang des 19. Jh. zusammengefasst und das damalig beste Blechblasinstrument für die Bassstimme erfunden.

Bis dahin besaß die geblasene Musik dieser Zeit für die tiefe Lage keine geeigneten Instrumente. Besonders stark machte sich diese Situation in der Freiluftmusik der Militärkapellen bemerkbar. Als Bassinstrumente standen lediglich Fagott und Kontrafagott, Serpent, Basshorn, Bassklarinette und die Bassposaune zur Verfügung.

Das circa 1590 vom Kanonikus Abbè Lebeuf in Auxerre erfundene schlangenförmige Serpent wurde erstmalig 1780 von Règibo in Lille nach dem Vorbild der zeitgenössischen Fagotte aus zwei aufrechten miteinander verbundenen Röhren gebaut. Dadurch ließ es sich erheblich leichter spielen und natürlich auch transportieren. Eine Grundproblematik blieb allerdings ungelöst: Die viel zu kleinen sechs Fingerlöcher, die zudem nur nach Erreichbarkeit der Finger angeordnet waren, ermöglichten nur unter großem Übungsaufwand eine zufriedenstellende Intonation. Daher wurden dem als Basshorn, Russisches Fagott, Cimbasso oder englisches Basshorn bezeichneten Instrument nach und nach weitere Klappen hinzugefügt. Die Endstufe dieser Entwicklung bildete das 1820 von Gottfried Streitwolf aus Göttingen entwickelte Chromatische Basshorn, das ebenfalls aus zwei hölzernen, parallelen, durch einen Bügel verbundenen Röhren mit nur noch zwei Fingerlöchern und bereits zehn Klappen bestand. Der Schalltrichter und das Mundrohr waren aus Messing gefertigt.

Mit der Entwicklung der Ophicleide entstand ein Instrument, das gegenüber dem Basshorn lauter spielen konnte, einen volleren und weicheren Klang besaß und wesentlich unempfindlicher bei Freiluftaufführungen einzusetzen war. Diese Eigenschaften erreichte Halary durch eine weitere Mensur und erheblich größere Tonlöcher.

Bau

Zwei konisch verlaufende Messingröhren werden am unteren Ende durch einen Bogen verbunden. Das stärkere Rohr schließt oben mit einem Trichter ab und das schmalere mit einem Mundrohr. Während sich die Mensur der Röhren und des Trichters seit den ersten Instrumenten von 1817 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts so gut wie nicht veränderte, gab es bei den Mundrohren gewaltige Unterschiede. Die frühesten hatten den gleichen Verlauf wie die zeitgenössischen Basshörner, also sehr weitläufig gestreckt, später überwogen runde Formen. Seit ungefähr 1850 integrierten die meisten Instrumentenbauer einen Stimmzug, so dass man auf diesen Instrumenten problemlos Stimmungen von 430 bis 445 Herz spielen konnte. Auf das Mundrohr wurde ein V- oder kesselförmiges Mundstück gesteckt.
Nach der Strategie zum Anbringen der Fingerlöcher beim Serpent, also deren Erreichbarkeit durch die Finger mittels einer einfachen Mechanik, wurden 9 bis 12 Klappen über das Rohr verteilt. Alle Klappen sind geschlossen bis auf die letzte vor dem Schallbecher. Leider war den früheren Instrumentenbauern der optimale Sitz eines jeden Tonloches ziemlich egal - die Musiker waren ja trainiert im Ausgleichen der Töne und die Ansprüche an einen Ophicleidespieler nicht hoch. Deshalb haben alle Instrumente von Natur aus intonatorische Defizite. Aufgrund der konischen Bauart läßt sich jedoch mit entsprechend großem Übungsaufwand dieses Problemfeld auf jeden Fall beherrschen.Überwiegend wurde die Ophicleide als Tenor-Bassinstrument in C gebaut, aber auch in Bb. Wesentlich seltener existieren Alt-Formen in Eb oder F oder Baßinstrumente in F.

Einsatz

Die Vorteile der Ophicleide als Bassinstrument waren gegenüber den konkurrierenden Instrumenten offensichtlich, so daß sich 1819, erst zwei Jahre nach der Erfindung, schon vier Ophicleide für die Bühnenmusik von Spontinis „Olympie“ versammelten. Es war ein großes Glück für die Ophicleide, in Paris entwickelt worden zu sein. Hier in der Weltkulturhauptstadt spielte eines der besten Orchester der Zeit, das Orchestre de Conservatoire du Paris, ständig beachtete Uraufführungen. Was in Paris musikalische Mode war, wurde weltweit kopiert. Auf diesem Weg drang das Instrument schnell nach England, Spanien und Italien. In Deutschland hingegen spielte man überwiegend Werke deutscher Komponisten, und diese waren - außer Ausnahmen wie Mendelssohn-Bartholdy und unbekannteren wie Gottfried Reissige - ziemlich reisefaul, lernten also überwiegend das Instrument vor der Erfindung der Tuba (1835 in Berlin) gar nicht erst kennen.
Für die Kammermusik existieren wenige Werke. Herauszuheben sind unbedingt die „12 Quintette de cuivres“ von Jean-Francoise-Victor Bellon (1795-1869) und das „Nonetto en Ut Mineur“ (1839) von Félicien David (1810-1876). Es ist aber davon auszugehen, daß bei kammermusikalischen Anlässen auch anders bezeichnete Bassstimmen von der Ophicleide ausgeführt wurden. Das gleiche gilt für die Sololiteratur, die von vielen Komponisten parallel für Ophicleide, Posaune, Fagott und Saxhorn konzipiert wurde. In den zahlreichen Schulen für Blasinstrumente, insbesondere in denen für Militärmusik, gibt es ständig Querverweise auf Übungen für andere Instrumente.

Ausblick

Die Frage nach Sinn oder Unsinn des Einsatzes von Ophicleiden anstelle von Basstuben in modernen Orchestern lässt sich nicht einfach dogmatisch klären, da schon das babylonische Sprachengewirr wie „Corno di basso“ oder „Cimbasso“ bei der Instrumentenbezeichnung keine ganz klare Aussage zulässt.

Entscheidungsvorschläge wären:

1. Prüfung der Tonlage
Der tiefste Ton eines C-Instrumentes ist ein Kontra H, in der Höhe wird bei Berlioz schon ein b2 gefordert. Bewegt sich die Stimme überwiegend in einer hohen Lage, z.B. in „Benvenuto Cellini“, ist es ein klarer Fall für die Ophicleide, da sich die Tuba in dieser Lage nicht mit anderen Instrumenten mischt sondern dominiert.

2. Prüfung der charakterlichen Notwendigkeit
Berlioz besteht bei aller Sympathie für die Tuba auf deren Einsatz der Ophicleide beim „Dies irae“ der „Symphonie fantastique“. Wie lassen sich unterschiedliche Charaktere z.B. in der „Brander Fuge“ aus „La Damnation du Faust“ mit zwei gleichen Tuben darstellen? Beim Vergleich von Aufnahmen mit oder ohne Ophicleide lässt sich ein musikalische Notwendigkeit schnell herausfinden.

3. Akustische Gegebenheiten
Entscheidend für die Wahl entscheidet sich zusätzlich auch die Größe des Orchesters. Während die Ophicleide für die Balance bei kleinen Orchestern zur Aufführung originaler Werken ( siehe unter www.ophicleide.de ) ideal ist, so verringert sich deren Notwendigkeit bei Tutti-Aufgaben in großen Orchestern.

Erhard Schwartz

(erschienen in „Instrumentenbau“ Juli/ August 2003)

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