von Dr. Eugen Brixel, Graz
8.Folge aus „Das historische Blasmusik-Instrumentarium“
Mit der Erweiterung des Instrumentariums von Militärorchestern um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert fanden zahlreiche, oft recht eigenwillige Instrumentalschöpfungen Eingang in das Blasorchester. Erwiesen sich manche dieser mitunter kuriosen Instrumente auch als relativ kurzlebig, so ist ihre Existenz und ihre Verwendung im Blasorchester doch für den Instrumentenkundler oder für den Blasmusikforscher von erheblichem Interesse. Darüber hinaus wird sich aber auch jeder Blasmusikfreund, der der historischen Entwicklung dieser Musiksparte nachgeht, mit speziellen Formen oder Typen von Blasinstrumenten konfrontiert sehen, deren Wesen zu erhellen eines der Hauptziele unserer Studie sein soll.
Unterzieht man die Besetzungsangaben und Instrumentalangaben zeitgenössischer Partituren einer genaueren Prüfung, so fällt auf, daß gegenüber dem mittleren und hohen Blechregister Baßinstrumente der Blechgruppe noch fehlen. Nachdem sich aus der Keimzelle der Militärmusikkapelle, der aus je zwei Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten bestehend sogenannte „Harmonie“ durch Hinzufügung weiterer Blechblasinstrumente das registerreiche militärische Blasorchester herauskristallisiert hatte, war es notwendig geworden, auch das Baßregister in entsprechender Weise aufzustocken und zu verstärken. Während die Fagotte das nötige Tonvolumen für Aufführungen unter freiem Himmel vermissen ließen, mangelte es den herkömmlichen Serpenten (siehe 4. Folge) einerseits an ausgeglichener Klangfarbe, andererseits an technischer Beweglichkeit. So traten dem Instrumentarium des Blasorchesters im frühen 19. Jahrhundert noch vor der erst seit 1840 gebräuchlichen Baßtuba andere Baßinstrumente hinzu, mit denen die Instrumentenbauer die Vorstellung von größerem Tonvolumen bei gleichzeitiger technischer Perfektion verwirklicht wissen wollten.
Dieser Absicht wurde in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts das sogenannte „Englische Baßhorn“ und die Ophikleide einigermaßen gerecht. Die Aufnahme dieser beiden Baßinstrumente in das militärische Blasorchester jener Zeit bedeutete nicht nur eine entscheidende Bereicherung des tiefen Registers, sondern erschloß den Komponisten und Arrangeuren weitere instrumentationsmäßige Möglichkeiten.
Das vorerwähnte „Englische Baßhorn“ war ein aus dem Serpent entwickeltes, fagottmäßig geknicktes Holzblasinstrument mit Kesselmundstück (!) , dessen Erfindung -nach Curt Sachs- einem in London lebenden Musiker namens Al. Frichot zugeschrieben wird. Da Frichot dieses Instrument (allerdings aus Metall) erstmals um 1800 von dem Londoner Instrumentenbauer J. Astor herstellen ließ, erhielt sich die Bezeichnung „Englisches Baßhorn“, obwohl nachgewiesener-maßen schon zwei Jahrzehnte zuvor in Frankreich durch Regibo Serpente in Fagottform gebaut worden waren. Die Besonderheit dieses selbst von Felix Mendelsohn-Bartholdy geschätzten Instrumentes lag darin, daß das Baßhorn einen fagottartigen Bau (S-Rohr, geknickte Luftsäule) mit den speziellen Cha-rakteristika der Blechblasinstrumente – das Kesselmundstück und die metallene Stürze – vereineigte. Die dem Fagott entlehnte Klappenmechanik ermöglichte dem Bläser eine relativ wendige technische Spielweise, der großen Tonumfang (er reichte vom C bis zum g´) und das verhältnismäßig starke, zuweilen rohe Tonvolumen des Baßhorns machten es zu einem universellen Baßinstrument des Blasorchesters. Daß schon in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegentlich von Instrumentenbauern, wie Vaclar Cerveny, Königsgrätz, verschiedene For-men des Barytons (Euphonium) unter der Bezeichnung „Baßhorn“ auf den Markt gebracht wurden, hat oftmal Verwirrung und Unsicherheit in der termino-logischen Deutung ausgelöst.
Über die Verbreitung des vornehmlich im westlichen Europa gebräuchlichen „Englischen Baßhorns“ schreibt Curt Sachs: „Das Baßhorn blieb von der Zeit seiner Erfindung durch Frichot (1800) bis 1815 auf England und höchstens Frankreich beschränkt. Deutschland lernte das neue Instrument erst durch gemeinsame kriegerischen Aktionen kennen. Trotz der großen Unvollkommenheiten, die dem Baßhorn anhalfteten, der Rauheit seines Tones vor allem und seiner Unreinheit , hielt es sich dann in den Militärkapellen bis in die 1830er Jahrre hinein, obgleich ihm unterdessen in dem Chromatischen Baßhorn und der Ophikleide vollkommenere Nebenbuhler an die Seite getreten waren“.
Die erwähnte Ophikleide, ein Metallblasinstrument mit Kesselmundstück der Bariton- und Baßlage, stellte das „letzte Glied einer langen Entwicklungskette“ (Jul. Schlosser) von Serpent- (bzw. Zinken-) instrumenten dar. Ihre dem Griechischen abgeleitete Bezeichnung (ophis=Schlange, kleis= Klappe) gibt die spezifischen Wesensmerkmale dieses um 1817 nach dem Muster des Klappenhorns von Halary in Paris erstmals gebauten Instrumentes wieder: die vom schlangenförmigen Serpent herrührende Abstammung sowie den Klappenmechanismus, wie er von den Holzblasinstumenten noch vor der Er-findung der Ventile auf verschiedene Blechblasinstrumente übertragen wurde. Den Klang dieses von Kontra-H bis zum zweigestrichenen C reichenden Instruments charakterisiert H.Berlioz („Traité d`instrumentation“) als „rauh und wild“, fügt aber gleichzeitig hinzu, daß es „unter Massen von Blechblasinstrumenten Wunder bewirkt“.
War die Ophikleide auch hauptsächlich im Militärorchester in Gebrauch, so war ihre Verwendung im Opernorchester zu jener Zeit durchaus keine Seltenheit: Gaspare Spontinis Partitur zur Oper „Olympia“ dafür ein Beispiel unter vielen. H.Berlioz jedoch zieht gegen eine solistische Verwendung der Baßophikleide in Sinfonie- und Opernorchester zu Felde, indem er ihren groben Klangcharakter herausstreicht: „Nichts Plumperes, fast möchte ich sagen, nichts Ungeheuer-liches gibt es, nichts weniger Geeignetes, um mit dem übrigen Orchester harmonisch vereinigt zu werden, als jene mehr oder weniger raschen Passagen, die man in gewissen modernen Opern als Soli der mittleren Lage der Ophikleide zum Besten gibt: Das ist gerade so, als wenn ein dem Stall entlaufener Stier mitten in einem Salon seine tollen Sprünge machte.“
Als nach der Erfindung der Ventile die Baßtuba, deren Klang ungleich edler ist, als der der Ophikleide“ (Berlioz), den anderen Baßinstrumenten des Blasorchesters binnen kurzem den Rang abgelaufen hatte, verschwand in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Ophikleide wieder aus den Blasorchestern und Militärkapellen.
Dr. Eugen Brixel
(erschienen in der „Östereichischen Blasmusik“ Jänner/Februar 1975)