von Stephen J. Weston
Das letzte und schönste Glied der Instrumentenfamilie, die man als „Klappenhörner bezeichnet, war die Ophikleide. Während des größten Teils des letzten Jahrhunderts war sie als Baß sehr beliebt. Das Baßinstrument in C ist ungefähr 105 Zentimeter hoch und besteht aus zwei parallelen Rohren, das eine breit, das andere schmal, die am unteren Ende ineinander übergehen. Der obere Teil des großen Rohres mündet in eine Stürze, während das schmale mit einem Stimmbogen versehen ist, der die Form eines Rings oder einer Ellipse haben kann. Daran schließt sich ein Mundstück, das demjenigen eines Euphoniums ähnelt. Gleichmäßig über die Rohre verteilt befinden sich neun bis zwölf Klappen. Die meisten Modelle sind aus gelbem Blech, aber auch rotes Blech und versilberte Instrumente sind bekannt. Gelegentlich trifft man Instrumente aus Holz, die dann gewöhnlich Serpentkleide genannt werden. Die Ophikleide wurde 1817 vom Franzosen Halary erfunden und dann in England und Frankreich ständig verbessert. 1860 ließen MacFarlane, Newton un Carte ihr Modell mit offenen Klappen patentieren. Um 1880 kam es in Frankreich aus der Mode, überlebte jedoch für eine Weile noch in England. Es ist interessant, Vermutungen darüber anzustellen, weshalb das Instrument nicht integrierter Bestandteil der Militär- und Orchestermusik blieb. Dabei muß zuerst die zeitgenössische Kritik der Ophikleide berücksichtigt werden und die Frage, ob diese Probleme wirklich nicht zu bewältigen waren.
I. Intonation
In der Vergangenheit nahm man immer an, die Intonation sie der größte Mangel der Ophikleide, eine Annahme, welche die Sensibilität der viktorianischen Musiker und ihres Publikums lächerlich macht. Ein gutes Instrument, gespielt von einem guten Musiker, klang auch gut. Alan Lumsden und andere haben dies kürzlich wieder bewiesen. der Beifall, der Ponder, Prospére, Caussinus und Hughes gezollt worden ist, kann kaum durch Bedenken betreffs Intonation abgeschwächt werden. Das gilt allerdings nicht für die Solisten auf den ersten Instrumenten ohne Kompensationsvorrichtungen.
II. Klangfarbe
Es ist bemerkenswert, daß die meisten abschätzigen Bemerkungen über diesen Aspekt der Ophikleide nach ihrem Verschwinden geschrieben wurden und zwar von Leuten, die sie vermutlich gar nie hörten.
Dieses Instrument war früher sehr beliebt, ist aber langsam und zu Recht aus der Mode gekommen, da seine krächzenden und falschen Töne gelinde gesagt sehr unangenehm sind. Im Orchester mag es als Ersatz für die Baßposaune dienen, aber als Soloinstrument wäre es abscheulich.
Dies schrieb Professor Kling 1902 in der amerikanischen Ausgebe seines Buches „Modern Orchestration and Instrumentation“. Die Baßtuba jedoch schätzte er sehr:
Dieses riesige Instrument hat die Ophikleide vortrefflich ersetzt. Berlioz‘ Bemerkungen über den Bullen, der aus seinem Stall entwichen sei ( in der Bennet Ausgabe der Abhandlung) nimmt mehr die zeitgenössischen Opernkomponisten aufs Korn, die auf schnellen Solopassagen für die Ophikleide beharrten, als die Klangfarbe dieses Instrumentes.
III. Strukturelle Probleme
Einige Ophikleide waren aus sehr dünnem Blech und bekamen manchmal Risse. Das Klappenwerk jedoch ist weniger anfällig, als es den Anschein macht, und kann vor allem an der schmalen Röhre- Klappen sieben, elf acht und neun – durch Schutzhüllen gut geschützt werden. Diese beiden Aspekte sprechen gegen die Ophikleide als Militärinstrument, aber Millers Anschuldigungen sind übertrieben:
Diese Instrumente sind für das Spiel im Freien nicht geeignet. Ein paar Stäubchen setzten sie außer Funktion.
Als Ophikleide und Tuba gegeneinander abgewogen wurden, hat man die Instrumente mit Ventilen schnell verbessert. Bauer vom Format eines Sax ließen letzteren das Rennen gewinnen. Kleine Verbesserungen ließen sich jedoch nicht vergleichen mit D.J. Blaikleys genialem Kompensationssystem , das die Klappenhörner schließlich zum Verschwinden brachte. Die harte Konkurrenz durch die Tubas war zweifellos der gewichtigste Faktor, der die Ophikleide außer Kurs brachte. Es gibt jedoch noch verschiedene andere Faktoren, und wenn die Umstände anders gewesen wären, hätte sich auch die Entwicklungsrichtung geändert. Einer davon besteht darin, daß die Ophikleide in Deutschland und Österreich nie Fuß fassen konnte. Das Orchester des Pariser Konservatoriums war zweifellos das beste der Welt, aber auf dem Gebiet der Komposition waren die Preußen führen. Carse sagt in seinem Buch „The Orchestra from Beethoven to Berlioz“ zu recht:
Da Beethoven nicht viel reiste, ist es sehr wahrscheinlich, daß er nie eine sah und hörte (eine Ophikleide) und wenn die Neunte Symphonie in Paris geschrieben worden wäre, beinhaltete sie vermutlich eine Stimme für Serpent oder Ophikleide und keine für Kontrafagott.
Wenn man die Begeisterung von Musikern und Publikum für diese Symphonie berücksichtigt, so wäre die Wirkung dieses Umstandes sehr weitreichend gewesen. Schumann, Schubert, Liszt und Bruckner wären vielleicht seinem Beispiel gefolgt und hätten die Ophikleide symphonisch eingesetzt, anstatt einfach in einem isolierten Choralwerk (Schumann). Der Traditionalist Brahms würde sie – wie das Naturhorn- sicher benützt haben. Es gäbe weniger handfeste Entschuldigungen für den Ersatz des Instrumentes als heute, wo einig Mendelsohn und Berlioz umfangreichere Werke dafür geschrieben haben. Das Schicksal vieler Instrumente verbesserte sich, nachdem ein Konzert für sie geschrieben worden war wie im Fall von Mozarts Fagottkonzert, Haydns und Hummels Werken für Klappentrompete, die später auf Ventilinstrumenten gespielt wurden. Sogar das Werk eines zweitrangigen Komponisten wie Ferdinand David, der ein Concertino für Posaune schrieb, verlieh diesem Instrument neuem Ruhm. Manchmal schrieb ein virtuoser Interpret für sich selbst ein Konzert, wie z.B. Dragonetti für den Kontrabaß. Die „Acton Gazette“(1923) erwähnte, daß Samuel Hughes „eine beachtliche Kompositionsgabe besitze“. Es ist erstaunlich, daß er kein ernstes Werk für Ophikleide schrieb. Für einen Musiker seines Rufs wäre eine Veröffentlichung nicht schwierig gewesen. Berlioz kritisierte den Mangel an Ophikleide-Unterricht am Pariser Konservatorium und schreibt ihm die allgemein schlechte Spielqualität auf diesem Instrument zu:
Es besteht keine Ophikleide-Klasse , weshalb von den hundert oder hundertfünfzig Personen, die im Moment in Paris dieses schwierige Instrument blasen, kaum drei in der Lage sind, in einem guten Orchester zu spielen. Und nur einer, Herr Caussinus, ist ein wirklich erstklassiger Spieler.
Gerechterweise muß man sagen, daß Berlioz auch die Absenz einer Baßtuba-Klasse beklagte. Cassinus unterrichtete am Gymnase Musical Militaire und war Mitglied der Societé des Concerts du Conserccatoire. Wenn ein entsprechender Posten eingerichtet worden wäre, hätte zweifellos er ihn bekommen. Sowohl F.Berr (1794 - 1838) wie auch sein Nachfolger als Klarinettenlehrer, H.Klosé (1808 – 1880), setzten sich für die Ophikleide ein, ersterer indem er mit Caussinus zusammen an der „Methode Complete“ arbeitete, letzterer indem er sein „Air varié“ für dieses Instrument veröffentlichte. Vielleicht hätten diese einflußreichen Professoren die Sache der Ophikleide noch weiter fördern können, indem sie die Einrichtung des entsprechenden Unterricht empfohlen hätten. Das einzige europäische Konservatorium , das Ophikleide-Unterricht erteilte, war die Guilhall School of Music in London. 1888 zu einer Zeit, in der wenig Interesse an der Ophikleide bestand, setzte es zögernd Samuel Hughes als Professor ein. Wenn die Royal Academy in den 50ger Jahren, als die Ophikleide auf der Höhe ihres Erfolges stand, zum Beispiel Prospére eingesetzt hätte, hätte sich die Haltung der Berufsleute ganz anders entwickelt. Die Verwendung der Ophikleide, des Serpents, des Flageoletts und anderer Instrumente in der Kirche hörte auf, als 1860 die Orgel wieder eingeführt wurde. Die „Minstrels‘ Gallery“ hat das Leben des Serpents und vermutlich auch der Ophikleide verlängert. Gemäß Temperley wurden die Kirchenmusiker von den Berufsmusikern jedoch nicht ernst genommen, und die Ophikleide war in den Kirchen ohnehin nicht sehr verbreitet. Die ersten wichtigen Werke, in denen eine Tuba Verwendung findet, waren Wagners „Faust“-Overtüre (1840) und der „Fliegende Holländer“ (1841). Schon im „Rienzi“ (1838 – 1840), (in welchem auch vier Ophikleiden in der Bühnenmusik eingesetzt werden) und 18443 im „Liebesmahl der Apostel“ hatte Wagner mit Serpent und Ophikleide experimentiert. Bevan vermutet, daß diese Werke für eine Pariser Premiere bestimmt gewesen sein könnte. Der Komponist hat den Einsatz der Tuba vielleicht hinausgeschoben, weil er sie für das Orchester als nicht sehr geeignet betrachtete. Aus seinen späteren Werken geht jedoch hervor (vgl. „Die Meistersinger von Nürnberg“, 1867) , daß er ihre Klangfarbe sehr schätzte. Die Konkurrenz zwischen den beiden Arten von Blechblasinstrumenten entwickelte sich weiter, als 1845 der Kriegsminister Carata (Direktor des Gymnase Musical Militaire) und Sax (der belgische Instrumentenbauer, der so großen Einfluß auf Paris ausgeübt hatte) den Auftrag gab, zwei alternative Blaskapellen aufzustellen, die dann in der französischen Armee verwendet werden könnten. Daraus resultierte ein Kampf, in welchem sich Caratas Holzbläser, Waldhörner, Kornette, Zugposaunen und Ophikleide maßen mit Saxens Piccoli, Klarinetten, Saxophonen, einer vollständigen Familie von Saxhörnern bis hinunter zum Kontrabaß in Es, Kornetten, Trompeten und Zug- und Ventilposaunen. Sax siegte, aber er bekam die Empfehlung, in die Infanterie-Kapellen zwei Ophikleide aufzunehmen, nicht jedoch in diejenigen der Kavallerie. Da aber Baßsaxhörner verwendet wurden, waren diese beiden Ophikleide völlig überflüssig. Wenn die Entscheidung zu Caratas Gunsten ausgefallen wäre, hätte die Schlußempfehlung vermutlich ganz anders gelautet, und die Zukunft der Ophikleide wäre gesichert gewesen. Man soll jedoch nicht denken, daß die Kriegskommission falsch entschieden habe, da sich Saxhörner für Militärkapellen sehr gut eignen. In einem Aspekt der ernsten Musik, in der Kammermusik, fand die Ophikleide nie Eingang. Die Musik für Blechblaskapellen mußte natürlich zuerst wieder neu belebt werden, aber der Klang der Ophikleide mischt sich auch schön mit andern Blasinstrumenten und hätte gut in eine Bläserserenade gepaßt. Man sollte auch daran denken, daß Spohr in seinem Noturno op. 34 für Bläser das Baßhorn einsetzte.
In der gleichen Weise wie das Balladenhorn für die Bearbeitung von Salonliedern verwendet wurde, wurde auch die Ophikleide sehr gern für Salonmusik eingesetzt. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an Bernard Shaws Beschreibung eines Abends im Bushey Park, wo sein Onkel „Barney“ die Ophikleide spielt. Unter den Amateurmusikern lebte das Instrument vermutlich am längsten, obwohl es dafür natürlich keine Belege gibt. Es ist fraglich, ob es im Zeitalter Edwards VII noch gespielt wurde. Die Ophikleide erlebte jedoch auch eine Art Auferstehung, denn 1920 schrieb Daubeney: In neuerer Zeit werden auf den Varietébühnen wieder Ophikleide verwendet. Es ist deshalb eigenartig, daß das Instrument in den traditionellen Jazz dieser Zeit keinen Eingang fand. In einer späteren Swingband kann man es sich schwer vorstellen, aber im Modern Jazz könnte es einen Platz finden. Bevan kommentiert:
Auf der Palette des modernen Komponisten hätte es gut Platz, wenn nicht im Orchester, so doch sicher im Jazz, wo seine Beweglichkeit es unentbehrlich machen würde.
Während der zweiten Hälfte ihres Lebens würde die Ophikleide immer wieder mit der Tuba konfrontiert. Ein künstlerisch ersprießliche Lösung wäre Berlioz’ Empfehlung gewesen, die beiden Instrumente im Orchester Seite an Seite spielen zu lassen. In einer handschriftlichen Bemerkung zur zweiten Ausgabe der „Symphonie Fantastique“ gab er die Erlaubnis, die zweite Ophikleide (in B) durch eine Tuba in Es zu ersetzen. Diese beiden Instrumente mit ihren völlig verschiedenen Klangfarben hatten und haben dem vollen Symphonieorchester noch immer viel zu bieten.
(erschienen in der 43. Ausgabe der Brass Bulletin im Jahr 1983)