von Prof. Dr. Christian Ahrens
Als der Franzose Jean Hilaire Asté, der sich später Halary nannte, im März 1821 seine bereits vier Jahre zuvor erfundene Ophikleide patentieren ließ, da schien es, als sei ein vielfach beklagter Mangel behoben, eine geradezu schmerzlich empfundene Lücke unter den Musikinstrumenten endgültig geschlossen worden. Denn mit dem Anwachsen der Orchester zu Beginn des 19. Jh. und dem steigenden Bedürfnis nach einer voll besetzten Freiluftmusik machte sich das Fehlen klangstarker Baßinstrumente besonders störend bemerkbar. In einem Aufsatz für die „Leipziger Allgemeine Musikalisch Zeitung“ (MZ) hatte Gottfried Weber 1816 auf diesen Mißstand aufmerksam gemacht: „(...) so finden wir, dass die alle theils zu ungeschickt sind, eine irgend schwierige Bassfigur rund und präcis genug auszuführen, theils noch viel weniger fähig, sie zugleich auch noch derb und durchdringend zu geben, und über den Tonsturm des übrigen Orchesters klar und verständlich herrschen zu lassen“.
Die Ophikleide (aus griech.: ophis = Schlange und kleis = Klappe) war ein Zwitter mit Elementen der Holz – und der Blechblasinstrumente. Sie zählte zu den sog. Grifflochhörnern, mit denen man in Europa seit Jh. experimentierte und aus denen schließlich die Zinken-Familie hervorgegangen war. Ophikleiden hatten neun bis zwölf ( in der Regel zehn oder elf) Klappen, wurden mit einem Mundstück angeblasen, das dem der Baßposaune ähnelte und in verschiedenen Größen gebaut, vom Alt bis zum gigantischen Kontrabaß. da sie extremen Lagen klanglich nicht zu befriedigen vermochten, avancierte der Baß zum Standardtypus. Sein Umfang reichte chromatisch vom H1 bis c,, , stimmte also mit jenem des Fagottes weitgehend überein, war aber in der Höhe um rund eine Terz geringer.
Mit der Ophikleide , so glaubten viel, verfüge man endlich über jenes Baßinstrument, auf das man lange vergeblich in Frankreich, wo die ganz auf Massenwirkung ausgerichteten gigantischen Blasorchester zur Untermalung der Revolutionsfeiern eines tragfähigen Fundaments entbehrten, so dringend benötigte. Freilich wußte man aus Erfahrungen mit den verschiedenen Zinken-Modellen um einige gravierende Mängel jenes Instrumententypus, die überdies in der tiefen Lage besonders stark ins Gewicht fielen. Dennoch: angesichts fehlender Alternativen blieb im Grund keine andere Wahl. Und so wurde die Ophikleide, zumindest in Frankreich, England und Teilen Italiens, relativ rasch in die Orchester integriert.
Erfindung der Ventile blieb zunächst fast unbemerkt
Von den meisten unbemerkt und offenbar ohne das Halary davon wußte, hatte sich in Deutschland 1814 eine Entwicklung angebahnt, die letztlich die Verdrängung der Ophikleide – wie aller anderen Instrumente dieser Gruppe auch – bewirken sollte: die Erfindung der Ventile. Friedrich Blühmel und Heinrich Stölzel, die Urheber dieses genialen Systems zur Veränderung des Tonhöhen bei Blechblasinstrumenten, waren sich von Anfang an bewußt, daß der Mechanismus auf andere als die gebräuchlichen Instrumente ( zunächst Hörner und Trompeten, später auch Posaunen) übertragen werden konnte. Insbesondere Heinrich Stölzel experimentierte offenbar schon sehr früh mit Baßinstrumenten. 1821 wurde, einer Meldung in der AMZ zufolge, in Berlin ein „von Hrn Kammermusikus Stölzel“ erfundener „chromatischer Tenortrompetenbass“ gespielt, ein mit Ventilen versehenes Flügelhorn in Tenor-Baß-Lage, das als einer der unmittelbaren Vorläufer für die von Friedrich Wilhelm Wieprecht und Johann Gottfried Moritz entwickelte Tuba gelten kann. Zwar datierte ihr Patent vom September 1835 doch scheint es, als seien ähnliche Instrumente bereits einige Jahre zuvor gebaut und erfolgreich erprobt worden. In der Nachricht eines Korrespondenten der „Neuen Zeitschrift für Musik“(NMZ) von 1835 über ein Konzert Wieprechts in Berlin, in dem dieser seine Neuerfindung der Öffentlichkeit präsentierte, hieß es ausdrücklich, es sei die Tuba „bei unserer Militär-Musik bereits eingeführt“. Wieprecht und Moritz hatten offenkundig lediglich bereits vorhandene Konstruktionen technisch und musikalisch vervollkommnet und damit eine Entwicklung vorläufig abgeschlossen, die bereits mehr als ein Jahrzehnt vorher initiiert worden war.
Die Ophikleide wurde im Laufe der Zeit kaum verändert
Freilich verlief die Rezeption dieser und ähnlicher Instrumente keineswegs so reibungslos, wie man dies eigentlich hätte erwarten dürfen. Der Grund dafür, daß sich namentlich Franzosen und Engländer auffallend zurückhielten bei der Übernahmen der Tuba, war nicht allein ihr besonders ausgeprägter Nationalstolz. Vielmehr empfand man den Klang der Ophikleide, trotz einiger Schwächen, auf die u.a. Hector Berlioz aufmerksam machte, als durchaus angenehm, ihre Einsatzmöglickeiten als ausreichend. Dies manifestiert sich auch darin, daß das Instrument im Laufe der Zeit kaum verändert wurde, weder was die Formgebung oder die Mensur betrifft, noch im Hinblick auf die Zahl und Anordnung der Klappen (von jenen obskuren Sonderformen, bei denen ein Teil der Klappen durch Ventile ersetzt war, einmal abgesehen). Den Klang der Ophicleide beschreibt Clifford Bevan aus heutiger Sicht folgendermaßen: „Es ist nicht leicht, in Bezug auf die Klangfarbe objektiv zu urteilen. ich würde sie als baritonal bezeichnen mit einem Anklang an das Altsaxophon, was ihre Schärfe mildert und zugleich zur Vergrößerung der Tonfülle beiträgt.
Das Jahr 1850 gilt als geradezu magisches Datum, von dem ab die Blechblasinstrumente mit Ventilen ihre „primitiven“ Vorläufer, die Naturtoninstrumente, endgültig verdrängten. Tatsächlich traf dies indessen lediglich auf die Trompete zu. Das Horn jedenfalls konnte sich , nicht zuletzt in Frankreich, noch rund fünfzig Jahre länger halten, und auch die Ophikleide verschwand erst um die Jahrhundertwende von der Bildfläche. In einigen französischen Orchestern wurde sie bis 1874, in Militärkapellen bis 1885 verwendet. Verschiedenen Fakten bestätigen einen Einsatz der Ophikleide noch um 1900. Da ist zum einen die relativ große Zahl von Ophikleiden-Schulen, die nach 1850 erschienen (Th.Gérard führt deren elf an, nur acht dagegen für die Zeit zwischen 1836 und 1850; die letzte übrigens wurde 1884 ediert), zum anderen die Tatsache, daß z.B. an der Pariser Oper noch nach 1900 die Stelle eines Ophikleide-Spielers besetzt war. Mag es sich dabei um ein Relikt längst vergangener Zeiten gehandelt haben, da die übrigen Sinfonieorchester in Paris damals fast alle über einen oder zwei Tubisten verfügten – das Publikum der Oper scheint immerhin bereit gewesen zu sein, jenen Klang zu tolerieren. Überdies läßt sich nicht ausschließen. daß – namentlich in den Militärorchestern der Provinz – weitere Ophikleidisten ihren Dienst versahen.
Bemerkenswerterweise bot die Firma Couesnon & Cie. in Paris 1916 Ophikleide in ihrem Katalog an, und zwar insgesamt acht Modelle in jeweils zwei verschiedenen Modelle in jeweils zwei verschiedenen Ausführungen, mit differierenden Griffsystemen und zehn oder elf Klappen. Clifford Bevans Hinweis auf eine Äußerung von Couesnon, 1850 sie letztmalig ein solches Instrument gefertigt worden und bei den später angebotenen habe es sich vermutlich um Restbestände gehandelt, vermag nicht zu überzeugen, denn es hatten andere, selbst deutsche Hersteller ebenfalls nach 1900 Ophikleiden in ihrem Programm. Die Firma C.W.Moritz beispielsweise, die einen ausgezeichneten Ruf in der Fertigung der verschiedenen Blechblasinstrumente genoß, offerierte um 1904 unter den Nummern 85 und 86 folgende Modelle der „Oficleide“: in C oder B mit 9 und 10 Klappen/do. mit 11 Klappen“. Da die Firma sich auf dem Titelblatt als „Lieferant für die Königl. Theater, für die Königl. Hochschule für Musik etc.“ bezeichnete sowie als „Lieferant für Armeen des In- und Auslandes“, da überdies Instrumente für die Militärmusik den weitaus größten Teil des Sortimentes ausmachten, darf man davon ausgehen, daß die Modelle der Ophikleiden vornehmlich in diesem Bereich Verwendung fanden. Ob die Abnehmer eher im In- oder Ausland beheimatet waren, ist dagegen schwer zu sagen. Selbst ein Einsatz der Ophikleide um diese Zeit in Deutschland läßt sich nicht ganz ausschließen. Freilich dürfte es sich dabei weniger um Sinfonieorchester als vielmehr um Militärkapellen, Kurorchester, Liebhabervereinigungen etc. gehandelt haben. Immerhin gab Hermann Eichborn1886 in der „Zeitschrift für den Instrumentenbau“ eine Mitteilung des Breslauer Instrumentenbauers E.G.Heidrich wieder, derzufolge „sich bei der Musik der preußischen Infanterie ein Basshorn bis heutigen Tages in Gebrauch erhalten hat, und zwar bei der Kapelle des 38. Infanterie-Regiments ( Garnison Schweidnitz). Wenn sogar dieses urtümliche Instrument weiterhin Verwendung fand, um wieviel eher dürfte dies dann für die Ophikleide gelten! Daß man bei Moritz nicht nur Restbestände eines seinerzeit schon völlig ungebräuchlichen Instrumentes zu verkaufen suchte, läßt sich dem Umstand entnehmen , daß die Preise für die Ophikleide nicht etwa stabil gehalten oder gar gesenkt wurden, sondern daß man sie in gleichem Maße anhob, wie die der übrigen Produkte.
Auch ökonomische Gründe spielten eine Rolle, wenn man trotz technischer Weiterentwicklung an der Ophikleide festhielt
Die Gründe dafür, daß man sich am Spiel der Ophikleide mancherorts noch festhielt zu einem Zeitpunkt, da die Tuba längst zu hoher technischer Präzision herangereift war, dürften nicht zuletzt ökonomischer Natur gewesen sein. Immerhin waren die von Moritz angebotenen Modelle mit M 90 bis 120 erheblich billiger, als die einfachste Tuba, die M 150 bis 200 kostete, von den Kaiserbässen und Tubas mit fünf Ventilen zu M 325 bis 425 ganz zu schweigen. Zieht man in Betracht, daß man für ein Fagott M 250 bis 400 und selbst für eine Tenor-Baß-Zugposaune noch M 90 bis 120 anlegen mußte, so wird evident, daß die Ophikleide in den Augen der Militärbürokraten erhebliche Vorzüge aufzuweisen hatte.
Was die Nachteile des Instrumentes angeht, so wird häufig die unsichere Intonation in den Vordergrund gestellt. Dies freilich scheint die Bläser der damaligen Zeit nicht sonderlich beschäftigt zu haben: Entsprechende Klagen hört man selten, und wenn sie artikuliert werden, dann gelten sie einem schlechten Musiker, nicht seinem Instrument. In der Tat war die fertigungsbedingte Intonationsreinheit der Instrumente des 19. Jh. keineswegs so gut , wie wir das heute gewohnt sind, und die Spieler waren darin geübt. entsprechende Korrekturen mit Hilfe des Ansatzes vorzunehmen.
Die Ophikleide war und blieb bis zuletzt ein 8, Instrument
Wichtiger scheint freilich , daß die Ophikleide von Anfang an ein 8, -Instrument war und es, trotz absonderlicher Konstruktionsversuche, bis zuletzt blieb. Es ist schwer zu sagen, ob das Verlangen nach einem klangstarken Blechblasinstrument im 16- Register das Vordringen der Tuba beschleunigte, oder ob man die Möglichkeit ihres Einsatzes als Kontrabass-Instrument erst erkannte, nachdem sie bereits in die Orchester aufgenommen worden war. Sicher ist jedenfalls, daß im Zug der Entwicklung eine Verschiebung des Tuba-Klanges in tiefere Register vorgenommen wurde, eine Entwicklung, an der die Firma Cerveny in Königsgrätz entscheidenden Anteil hatte. Was bei der Ophikleide auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieß, weil wirkliche Kontrabaß-Modelle ihrer ungeheuren Länge wegen unhandlich waren und ein höchst kompliziertes Klappensystem erforderte, das ließ sich bei der Tuba mit Hilfe zusätzlicher Ventile relativ leicht realisieren. Reichte schon ein Modell mit drei Ventilen eine übermäßige Quarte tiefer als eine Ophikleide von gleicher Länge, so war es bei einem Modell mit vier oder fünf Ventilen schon rund eine Oktave. Neben den Vorzügen der größeren Tonfülle und der annähernd gleichen Klangfarbe über den gesamten Tonraum, war es offenkundig die Erweiterung des Umfanges in der Tiefe, welche, den Siegeszug der Tuba beförderte, zumal gerade die tiefen Töne relativ leicht ansprachen und sich sicher intonieren ließen.
Ein letztes „Reservat“ für die Ophikleide: die Kirchenmusik in Frankreich
Es ist bezeichnend für die Endphase des Einsatzes von Ophikleiden, daß sie sich schließlich nur noch dort zu behaupten vermochten, wo das freie Spiel der Kräfte gleichsam ausgeschaltet war und bestimmte, zumindest ihrem Ursprung nach außermusikalische Normen dominierten: in der Kirchenmusik Frankreichs. Dort wirkte jenes Ideal der weitgehenden Übereinstimmung von Stimm- und Instrumentalklang, einen bevorzugten Rang für die Unterstützung des einstimmigen Choralgesangs garantierte, noch immer fort. In dieser Funktion des Begleitinstrumentes, welche der Ophikleide schon bald nach ihrer Erfindung in der Nachfolge des Serpentes zugefallen war, wurde sie erst um 1914 endgültig abgelöst von Harmonium und Orgel, nachdem sie seit etwa 1885 in den Orchestern zunehmend an Bedeutung verloren hatte. Rund siebzig Jahre einer breiten und weitere dreißig Jahre einer eingeschränkten Nutzung- das war freilich mehr, als mancher jener Erfindung zubilligen mochte, nachdem ihr 1835 in der Tuba eine ernstzunehmende Konkurrenz erwachsen war. Daß die Ophikleide sich trotz aller Schwächen so lange gegenüber dem technisch vollkommeneren und musikalisch anspruchsvolleren Instrument behaupten konnte, ist eine der vielen Absonderlichkeiten in der Geschichte des Instrumentenbaus.
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