Zur Entwicklung der tiefen Blasinstrumente im 19.Jahrhundert

Dr. Gunther Joppig

Klang, Bau und Verwendung der Orchesterinstrumente des 17. und 18. Jahrhunderts scheinen uns vertraut zu sein. Unsicherheit besteht dagegen immer noch bei der genauen Einordnung der Blasinstrumente des 19. Jahrhunderts.

Wer Partituren mit großer Orchesterbesetzung aus den Bereichen Oper, Oratorien und Konzert französischer, italienischer und deutscher Komponisten des 19.Jh. studiert, stößt im Bereich der Blasinstrumente gelegentlich auf Instrumentationsbezeichnungen, die selbst Orchestermusikern und Dirigenten Rätsel aufgeben. Noch verwirrender wird es, wenn Blasorchesterpartituren in die Untersuchung mit einbezogen werden. Baßhorn (Mendelsohn-Bartholdy), Cimbasso (Verdi), Ophikleide (Berlioz, Wagner) und Sarrusophon ( Dukas, Ravel, Saint-Saëns, Strawinsky) werden in aller Regel nicht mit Originalinstrumenten besetzt, wenn Aufführungen anstehen.

Im Bereich der Blasorchester-Besetzungen treffen wir auf Batyphon, Contrabassophon, Fagott serpent, Metallkontrafagott und russisches Fagott – und stehen vor der Frage, welcher Bautypus und welche Klangfarbe sich dahinter verbergen. Gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, als seien wir über das Instrumentarium der Renaissancezeit durch das epochale „Syntagma musicum“ von Michael Praetorius (1571-1621) aus dem Jahre 1619 besser unterrichtet, als über das uns eigentlich viel näher liegende des frühen 19. Jahrhunderts.

Im ausgehenden 18. Jahrhunderts stehen den Komponisten im Bläserbereich nur wenige Instrumente in der Baßlage und kaum Instrumente in der Kontrabaßlage zur Verfügung. Im Baßbereich sind es Fagott, Baßklarinette, Serpent und Posaune. in der Kontrabaßlage praktisch nur das Kontrafagott, nachdem den Kontrabaßposaunen zunächst nur eine kurze Blütezeit in der Musik der Renaissance und im Frühbarock vergönnt war.

Von den genannten Instrumenten fand lediglich das Fagott in allen Musikgattungen Verwendung, während der Posaunensatz (bestehend aus Alt-, Tenor- und Baßposaune) auf Kirchen, Messen und Oratorien beschränkt blieb. Manchmal geben sie auch ein Gastspiel in der Oper, wie in Mozarts „Zauberflöte“, und eine Baßposaune ist auch im begleitenden Orchester von Solokonzerten des frühen 19. Jahrhunderts gelegentlich vorgeschrieben.

Während Baßklarinetten aus dem 18. Jahrhunderts außerordentlich selten anzutreffen sind und durch ihre Vielfalt der Bauformen an Prototypen erinnern, ist der Serpent offensichtlich weit verbreitet gewesen. Er kam besonders in der Harmoniemusik und in der Kirchenmusik zum Einsatz, dort jedoch zur Begleitung des Gemeindegesangs.

Barbarischer Ton und abscheuliches Geheul

Hector Berlioz (1803-1869) hat diese Art der Verwendung in seiner Instrumentationslehre drastisch charakterisiert: „Der wirklich barbarische Ton dieses Instrumentes hätte sich viel besser für den blutigen Götzendienst der Druiden, als für den katholischen Kultus geeignet, bei dem es noch immer in Anwendung gebracht wird,- ein ungeheuerliches Denkzeichen des Unverstandes und der Geschmacks- und Gefühls-Rohheit, womit seit unbedenklichen Zeiten in unseren Kirchen über die Verwendung der Tonkunst beim Gottesdienst bestimmt wird. Nur der eine Fall ist auszunehmen, wo der Serpent in den Totenmessen dazu dient, den furchtbaren Chorgesang des „Dies irae“ zu begleiten. Sein kaltes, abscheuliches Geheul ist hier ohne Zweifel am Platze, es scheint sogar eine Art von poetischem Trauercharakter anzunehmen, wenn es diesen Text begleitet, den alle Schrecknisse des Todes und der Rache eines zürnenden Gottes durchwehen.

Die Kritik von Berlioz betraf einen Instrumententypus, der in direkter Linie aus der Zinkenfamilie hervorgegangen ist, Schon im 16. Jahrhundert sind schlangenförmige Tenorzinken nachweisbar, aus denen sich der Serpent in seiner klassischen Form entwickelte, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erhalten blieb.

Namensvielfalt

Dann setzte vielerorts eine Umstrukturierung ein, verbunden mit neuen Namensschöpfungen, die sich an die Fagottform anlehnte. Einem früheren Schulwerk für den „Serpent Basson dit Serpent droit“ von Héral entnehmen wir die Vorzüge dieser Umkonstruktion gegenüber der alten Form: der Ton ist wesentlich brillianter, die Form praktischer und schöner sowie der Fingersatz sehr viel leichter, weshalb aus diesen Verbesserungen ein weniger starker Luftverbrauch resultiert als beim gewundenen Serpent, Instrumente diesen Typus sind in Frankreich auch als „Serpent Forveille“ verbreitet. In den deutschsprachigen Ländern ist es als Baßhorn bekannt, aber auch als russisches Fagott (möglicherweise eine fehlerhafte Rückübersetzung der französischen Bezeichnung Basson prusse, also: preußisches Fagott). Aber auch englisches Baßhorn kommt vor, wobei in diesem Falle „englisch“ als aus England stammend und nicht wie beim Englischhorn, als „engelisches“ Horn zu interpretieren ist.

Konstruktionsvergleiche

Einen Endpunkt in der Entwicklung der Polsterzungeninstrumente aus Holz mit Grifflöchern und Klappen stellt das chromatische Baßhorn von Johann Heinrich Gottlieb Streitwolf (1779-1837) dar, das er 1820 in seiner Göttinger Werkstatt präsentierte. Bis heute herrscht in Musiker- und Dirigentenkreisen völlige Unklarheit, um welches Instrument es sich bei dem in italienischen Opernpartien vorkommenden Cimbasso handelt.

Erst die jüngst veröffentlichte Forschung von Renato Meucci (Mailand) belegt eindeutig, daß der Cimbasso ein Baßhorn aus Holz mit Grifflöchern war, das nichts mit den Ventilkontrabaßposaunen gemein hat, die heute von verschiedenen Herstellern angeboten werden.

Der Serpent und die aus ihm entwickelten Baßhörner waren zwar weiter gebohrt, als die eng mensurierten Fagotte und Kontrafagotte, die konische Erweiterung blieb jedoch relativ gering. Diese Mensurverhältnisse veranlaßten Hans Kunitz zur Konstruktion seiner Cimbasso-Posaune. Er schreibt in Teil 8, „Die Instrumentation“: Weder der Serpent noch das Baßhorn sind etwa als Vorgänger der heutigen Baßtuba und Kontrabaßtuba anzusehen. Das zeigt schon ohne weiteres die völlig verschiedene Rohrmensur; während bereits die konische Erweiterung des Original-Serpents verhältnismäßig gering war, nämlich von 4 cm auf 10cm , also das Verhältnis von 1:2,5 besaß ( das normale Verhältnis der Erweiterung der konischen Kesselmundstückinstrumente beträgt etwa 1:6 bis 1: 8, bei der Tuba sogar 1:20), war sie beim Streitwolfschen „Chromatischen Baßhorn“ noch geringer. Sie führte gleichmäßig bis unmittelbar zum Ansatz des weit ausladenden, posaunenähnlichen Messingschalltrichters, der nicht aus einer allmählichen Erweiterung des Hauptrohres gebildet, sondern wie bei der zylindrischen „Busine“ unmittelbar auf diese aufgesetzt war.

Das Instrument glich also äußerlich einem Fagott mit einem aufgesetztem kurzen Schalltrichter und mit einem Kesselmundstück an der Stelle des Rohrblattmundstückes. Soweit man es bis heute bisweilen in den Museen irrtümlicherweise als „Fagott“ bezeichnet findet (in diesen Fällen fehlt stets das Mundstück) , ist darauf hinzuweisen, daß der Unterschied zwischen dem Baßhorn und dem Fagott vor allem daran zu erkennen ist, daß das S-Rohr des Baßhorns wesentlich weiter mensuriert ist und massiver als das S-Rohr des Fagotts ist ( der Fagottist erkennt den Unterschied natürlich ohne weiteres am Klappensystem). Die Struktur des Baßhorns, und zwar vor allem die des Chromatischen Baßhorn Streitwolfs – ein schlankes Rohr mit kurzem, weit ausladenden Schalltrichter -–zeigt deutlich, daß es zur Ausführung der Funktion einer tiefen Posaune bestimmt war.“

Die Rekonstruktion des Cimbasso muß sich heute an originalen Baßhörnern orientieren, die der Antiquitätenhändler Leopold Francilini (1844-1920) unter der Bezeichnung „Simbasso“ in seinen um die Jahrhundertwende erschienenen Katalog anbot.

Unklarheit über die Instrumentenfamilie

Jean Hilaire Asté dit Halary (um 1775- um 1840) stellte 1817 seine von ihm so genannte „Ophikléide, ou Serpent á droit“ vor, die jedoch über eine sich wesentlich stärker erweiternde Mensur und ein System von im Ruhezustand geschlossenen Klappen verfügte, bis auf die tiefste Klappe.

Christian Ahrens sieht die Ophikleide in der Nachfolge der Grifflochhörner „aus denen schließlich die Zinken-Familie hervorgegangen war.“ Emilie Mende ordnet die Ophikleide dagegen der Hornfamilie zu, und auch Kunitz verweist auf die strukturellen Unterschiede: „Das Rohr der Ophikleide besaß 11 Klappen, von denen 10 – vom Mundstück aus gerechnet – in ihrer Grundstellung durch Federdruck geschlossen waren, während die 11., am nächsten zum Schalltrichter gelegene, wie bei allen Klappen-Bügelhörnern in der Grundstellung durch Federdruck geöffnet war (sogenannte „H-Klappe“). Das mit einem großen und weiten Kesselmundstück angeblasene Rohr war wie das Rohr aller Bügelhörner gleichmäßig konisch erweitert, und zwar, wie bei diesen in einem Verhältnis von etwa 1: 6 bis 1: 8, also keineswegs etwa in dem Maße wie das Rohr der heutigen Baß- bzw. Kontrabaßtuba, die eine Erweiterung bis zu 1: 20 aufweisen. Eine derartige Erweiterung war mit Rücksicht auf die Größe der Klappen nicht möglich, da diese besonders zum Schalltrichter hin nicht den akustisch-strukturellen Erfordernissen entsprechend so groß wie der Rohrdurchmesser an der Stelle, wo die Klappe angebracht war, bemessen werden konnte. Immerhin war das Rohr so weit, daß der Naturton Nr.1 verwendet werden konnte; die Ophikleide war also ein „Ganztoninstrument“

Die Ophikleide blieb über ein Jahrhundert hinweg in Gebrauch und fand zuletzt in Südamerika Verwendung, wo sie noch der brasilianische Komponist Heitor Villa-Lobos kennenlernte. Die Beurteilung ihrer musikalischen Qualitäten ist sehr uneinheitlich und offensichtlich von dem Geschick der Bläser abhängig.

Intonationsprobleme

Während sich das Prinzip der Rohrverkürzung bei allen Holzblasinstrumenten durch Öffnen von Klappen und Tonlöchern offensichtlich bewährte und nicht zu Nachteilen in bezug auf die Intonation führen muß, wird eine stabile Intonation auf der Ophikleide, je höher man hinaufsteigt, immer schwieriger. Berlioz hat diesen Sachverhalt wiederum drastisch beschrieben: „Der Klang dieser tiefen Töne ist rauh, aber in gewissen Fällen, unter Massen von Blechinstrumenten, bewirkt er Wunder. Die sehr hohen Töne haben einen wilden Charakter, den man jedoch noch nicht in der rechten Weise zu verwerten gewußt hat.

Die Mittellage erinnert, besonders wenn der Bläser nicht sehr geschickt ist, zu stark an den Ton des Serpent und des Zinken; ich glaube, man darf sie selten allein, ohne Deckung durch andere Instrumente schreiben. Nichts Plumperes, fast möchte ich sagen, nichts Ungeheuerlicheres gibt es, nichts weniger Geeignetes, um mit dem übrigen Orchester harmonisch vereinigt zu werden, als jene mehr oder weniger rasche Passagen, die man in gewissen modernen Opern als Soli der mittleren Lage der Ophikleide zum Besten gibt: das ist gerade so, als wenn ein dem Stalle entlaufener Stier mitten in einem Salon seine tollen Sprünge machte.“

Dennoch erwies sich die Grundkonstruktion der Ophikleide als geradezu ideale Basis für neue Erfindungen. Auf einem Preiscourant der Firma Leopold Uhlmann in Wien vor 1849 ist eine „Ophikleide(Harmoniebass oder Bombardon) in F mit Garnierung und Maschin von Packfeng“ ebenso abgebildet, wie eine „Ophikleide in C mit Klappen.“ Außerdem ein „Contrabaß in C“ eine Oktave unter der Ophikleide, der mit Doppelrohrblatt angeblasen wird. Von den drei genannten Baumustern entsprach nur die Ophikleide in C dem ursprünglichen Bautyp.

Die „Ophikleide mit Machin“ war schon vor der Namensgebung ein Widerspruch, da sie eben nicht mehr über Klappen verfügte, sondern die Tonveränderung durch Verlängerung der Tonröhren mit Hilfe von Ventilen vorgenommen wurden. Der Contrabaß wurde mit einem Doppelrohrblatt angeblasen. Alle drei Instrumententypen wiesen ein einheitliches Mensurkonzept auf. Ähnliche Baumuster lassen sich um die Jahrhundertmitte bei praktisch allen führenden Blasinstrumentenherstellern Europas nachweisen, wie bei Cerveny in Königsgrätz, Moritz in Berlin, Pelitti in Mailand, Gautrot in Paris und Mahillon in Brüssel , um nur einige zu nennen. Der Klappen-Ophikleide, Ventil-Ophikleide und Rohr-Ophikleide gesellte Adolphe Sax (1814-1894) noch eine Ophikleide á bec (Schnabel-Ophikleide) hinzu, die er Saxophon nannte, nachdem er von der Ophikleideform abgerückt war. Die Patentschrift zeigt jedoch ein solche Bauform, ein Instrument ist bis heute nicht nachweisbar.

Instrumente aus Blech und Pappmaché

Ebenfalls auf den Mensuren der Ophikleide basieren einige Bautypen in der Kontrabaßlage, die mit Doppelrohrblatt angeblasen werden. Diese Blech-Kontrafagotte mit einem System von geschlossenen Klappen und deshalb von der Fagottgriffweise völlig verschieden, erhielten verschiedene Namen, die die Identifizierung nicht immer einfach machen.

Johann Stehle in Wien nannte sein Modell Harmoniebaß, Václav Frantisek Cerveny sein Modell Tritonikon wegen der auf ihm erzielbaren dreifachen Lautstärke, Paolo Pelitti gab seinem Modell die Namen „Controfagottone basso“ und „controgagotto d’ottone“(Messingkontrafagott), Heinrich Joseph Haseneier baute seine Erfindung aus Pappmaché und nannte es „Contrabassophon“, die Mahillons in Brüssel tauften es „Contrabasso á anche“ und die Firma Orsi baut diesen Typus bis heute unter der Bezeichnung “Contrabasso ad ancia“ für die italienischen Militärkapellen.

Weiterentwicklungen

So genial alle die erwähnten Konstruktionen waren, schließlich war nur jeweils eine Klappe zu öffnen, so gewöhnungsbedürftig ist das Griffsystem für den auf anderen Blasinstrumenten geschulten Holzbläser. Adolphe Sax hatte wohl aus diesem Grund nicht nur die großen Tonlöcher nach dem Prinzip Theobald Boehms übernommen, sondern auch dessen System von im Ruhestand offener Klappen.

In der gleichen Weise gestaltete Pierre Louis Gautrot (gestorben 1882) seine Familie der Sarrusophone, wobei dich die tiefen Modelle gegenüber dem Baß- und Kontrabaßsaxophon aufgrund ihrer engeren Mensuren im Vorteil befanden. Im Sinfonieorchester konnte nur das Kontrabaß-Sarrusophon in C heimisch werden, bis 1900 die Firma Bufett Crampon ein Metall-Kontrafagott vorstellte, das nicht mit einem Sarrusophon zu verwechseln ist, das die Mensur und die Griffweise dem französischen Fagott-Typ entspricht.

Die engere Mensur der Ventil-Ophikleide wurde von Adolphe Sax für die Entwicklung der Saxhornfamilie genutzt und hat sich am ehesten in den sogenannten Wagner-Tuben erhalten. Hans Kunitz sieht als würdige Nachfolger der Baßhörner und Serpente die Ventilposaunen an, während in Italien schlankgebaute Tuben herangezogen werden. Die weitmensurierten Blech-Kontrafagotte fanden vor allem im Blasorchester Verwendung und werden, wenn überhaupt, durch das normale engmensurierte Kontrafagott ersetzt, das auf die Konstruktion von Wilhelm Heckel und Friedrich Stritter zurückgeht. Schon jetzt wenden sich vereinzelt Musiker wieder einer Instrumentengruppe zu, die einstmals als Bindeglied der Holz- und Blechblasinstrumente galten und Elemente beider Gruppen miteinander verbanden.

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